Intensitäten und ihre Grenzen – Vortrag von Manfred Hermes
"Kunstbereich" und "Kino/Film" stehen in einem inkongruenten Verhältnis. Dazwischen liegt ein holpriges und unübersichtliches Gelände. Die Intensitäten sind verschieden verteilt. Die Voraussetzungen, Ansprüche, Faszinationen und Adressierungsformen sind andere. Der Kinofilm handelt mit Gefühlen und Erwartungen, der Kunstbereich mit Mannigfaltigkeiten und Namen. Was die Kunst vom Film will, ist daher pauschal nicht zu sagen. Trotzdem unterstellen Filmvermittler dem "Kunstbereich" einen unstillbaren Appetit auf bewegte Bilder und die Beschlagnahme "experimenteller" Aktivitäten. Wenn ein Moment von Zerstreuung und Willkür hier auch nicht zu übersehen ist, so trifft dieses allerdings auf die Filmseite ebenfalls zu. Ein Indiz wäre das Überlaufen filmkritischer Diskurse zur US-Serie, deren privater, monotoner Konsum mit "Kino" unvereinbar ist. Aber das sind auch nur Verallgemeinerungen, nur die Darlegung von Einzelfällen kann Klarheit in die Struktur von Verhältnissen bringen. Das soll nicht zuletzt am Beispiel von "Berlin Alexanderplatz" geschehen. Die neuere Aufführungsgeschichte von Fassbinders TV-Serie ist geeignet, die nicht immer nur produktive Dialektik zu illustrieren, die kunstinstitutionelle Entgrenzungen in Gang setzen können.
Manfred Hermes ist freier Autor und schreibt in Zeitschriften und Katalogen über Teilbereiche zeitgenoessischer Kunst und des narrativen Films, zuletzt über die weißen Bilder von Martin Kippenberger (Hamburger Bahnhof, Berlin) und zur Ausstellung "Liebe ist kälter als der Kapitalismus" im Kunsthaus Bregenz. Einzelveröffentlichungen: "Ull Hohn" (Berlin 1996), "Martin Kippenberger. Kippenbergers Diskretion" (Köln 2005), "Deutschland hysterisieren. Fassbinder, Alexanderplatz" (Berlin 2011).
Die Veranstaltung findet im Rahmen von "Filmic Affairs. Schnittstellen zwischen Kunst und Kino" statt.
Die Reihe widmet sich dem traditionsreichen und spannungsgeladenen Verhältnis von Kunst und Film bzw. Kino. Zwischen den beiden Feldern gibt es seit der Erfindung des Films Verbindungen und Divergenzen, die zu einer wechselvollen Geschichte geführt haben, in der sich Kunst und Kino immer wieder abstießen, aber auch durchdrangen. So vielfältig die Annäherungen der Räume von Kunst und Film bzw. Kino mittlerweile sind, werden die Diskurse von vielen Film- und Kunsttheoretikern als aneinander vorbei gleitend wahrgenommen, wobei dies sowohl begrüßt als auch moniert wird. "Filmic Affairs" widmet sich aus unterschiedlichen Perspektiven diesem Nebeneinander von Kunst und Kino und stellt nach wie vor aktuelle Fragen wie "Was will die Kunst vom Film?" (Texte zur Kunst, 2001). Wie nimmt sich die Arbeit mit Film im Kunstkontext gegenwärtig aus? Was sind die Effekte der Vereinnahmungsprozesse seitens der Kunst mit ihrer eigenen Wertschöpfungslogik und ihren spezifischen Präsentationsformen? Was kann über die unterschiedlichen Erfahrungen von Film im Ausstellungs- und Kinoraum noch gesagt werden?
Großzügig gefördert durch das Land Niedersachsen, den Lüneburgischen Landschaftsverband und die Hansestadt Lüneburg.