Kenneth Anger, Henning Bohl, Lily Wittenburg, Puppies Puppies, Pentti Monkkonen, Kitty Kraus, Ken Jacobs, Oliver Husain, Wenzel August Hablik, Madge Gill, Claude Cahun
Magic Lantern Cycle
Die Ausstellung „Magic Lantern Cycle“ stützt sich auf keine These und entwickelt auch keine. Indes zieht sie ausgehend von dem ihr ihren Namen gebenden Zyklus „Magick Lantern Cycle“ des amerikanischen Undergroundfilmers Kenneth Anger lose und assoziative Fäden, mit denen verschiedene Motive aufgerufen werden.
Eines dieser Motive ist Angers Verständnis vom Film als magisches Ritual. Diese nicht ganz unproblematische, aber umso einnehmendere Vorstellung, stößt nicht zuletzt deshalb auf unser Interesse, da sie einen anderen Blick auf filmische Bilder und damit auf kulturelle und künstlerische Produktion vorschlägt, der konträr zu dem scheint, was sich heute als zutiefst zwiespältiges und ebenso fragwürdiges, von wirtschaftlichen- und Machtinteressen durchsetztes Feld der Kunst zeigt. Ein weiteres Motiv ist das des Lichtes, Grundlage jeder filmischen Projektion. Laut Parker Tyler – am Surrealismus geschulter amerikanischer Filmkritiker der 1940er Jahre – koche die Menschheit ihren Geist über dem symbolischen Feuer der Nacht, dem elektrischen Licht, denn dieses stelle das Fundament jeglicher künstlerischen und intellektuellen Arbeit, jedes Konzeptes, jedweder Unabhängigkeit von Tag und Nacht dar. Bei Anger ist Licht hingegen eng mit der mythischen Figur des Lucifer verbunden, der in der römischen Mythologie als Personifikation des Morgensterns – die von den ersten Strahlen der Sonne angeleuchtete Venus – und damit als Bringer des Lichtes galt. Dort durchweg positiv konnotiert, verkörpert er hingegen in der christlichen Tradition den gefallenen Engel und wurde so zur Allegorie des Satans. Als demnach zutiefst widersprüchliche Figur ist ihm eine Doppelgesichtigkeit eingeschrieben, die auch das filmische (Licht)Bild, das Kino Hollywoods charakterisiert. Sei dieses doch, so Anger, ebenso Verführung wie Verblendung, Verderben, Propaganda und damit gleichermaßen schön wie gefährlich. Entsprechend einer solchen Vorstellung erliegt auch in H.P. Lovecrafts aus dem Jahre 1920 stammenden Prosagedicht „Nyarlatothep“ das Publikum wie auch der Erzähler der verderblichen Anziehungskraft filmischer Apparate und elektrischer Experimente, mit denen der an einen Pharao erinnernde propagandistische Showmaster Nyarlatothep eine alptraumartige Vision vom Ende der Welt schafft, die sich nach der Aufführung jedoch nicht verflüchtigt, sondern als entleerte Realität fortbesteht. Und auch Parker Tyler versteht den Kinobesuch als Ritual der Halluzination, als eine besondere Form der Hypnose. Film ist also stets Erzeugung von Illusion durch Projektion. Eine Wirklichkeit im Sinne von Wahrheit – mal die Fragwürdigkeit eines jeden Wirklichkeits- und Wahrheitsbegriffs beiseite gelassen, denn was sollte das sein? – wäre hier also ohnehin nicht zu haben. Sehen bedeutet an dieser Stelle immer dasselbe wie Glauben. Diese Konstruktion ist dem Film seit Beginn an eingeschrieben und wurde im 17. Jahrhundert, in dem er mit der Laterna Magica seinen Ursprung fand, auch offensiv verhandelt.
Neben diesem eher materiellen Verständnis von Projektion als dem Werfen von Licht durch den Raum zur Erzeugung von Bildern ist aber auch die psychoanalytische Bedeutung des Begriffs mit gemeint und überaus willkommen; wie auch die äußerst krude, zwischen Kosmologie, Biologie und Topologie schwirrende Vorstellung Tylers von der Analogie des menschlichen Körpers zum Kino, bei der er diesen während des Schlafes als dunkle Kammer denkt, in der das Gehirn Licht auf das Herz projiziert, welches wiederum Schatten auf die Innenwände des Körpers wirft, die dann als Bilder wahrgenommen werden.
All diese Ideen, Konzepte, Überlegungen und Vorstellungen sowie unser Nachdenken darüber bilden den Ausgangspunkt der Ausstellung, die sich in verschiedene Richtungen ausbreitet, vor allem aber weg vom Film, weg von einer Engführung auf allein filmische Bildlogiken hin zu einer Übertragung dieser übersensibilisierten Modelle von Wahrnehmung auf andere Formen und Darstellungsmöglichkeiten von Kunst und Realität.
Kuratiert von Henning Bohl und Stefanie Kleefeld
Veranstaltungen
Ausstellungseröffnung am 3. Dezember 2015 ab 19.00 Uhr
ab 19 Uhr: Performance von Puppies Puppies, „Voldemort on Advil PM“
20 Uhr: Filmvorführung von Oliver Husain, „Rushes For Five Hats“, 2007
21 Uhr: Filmvorführung von Ken Jacobs, „Seeking the Monkey King“, 2011
Filmvorführung
„Magick Lantern Cycle“ (Kenneth Anger, 1947-1981)
Dienstag, 08. Dezember 2015, 19.00 Uhr
Scala Programmkino, Apothekenstraße 17, 21335 Lüneburg
„Kinder führen Kinder“ & „Kinderclub“
Samstag, 12. Dezember 2015, 11.00 – 13.00 Uhr
für Kinder von 6 bis 12 Jahren
Workshop mit Sebastian Rohrbeck und Robert Falckenberg zum Thema „Film“
Sonntag, 13. Dezember 2015, 14.00 Uhr (open end)
für alle Altersgruppen
Führung durch die Ausstellung
Freitag, 18. Dezember 2015, 18 Uhr
Vortrag von Esther Buss
Mittwoch, 06. Januar 2016, 19 Uhr
„Kunst und Kuchen“ Spezial
Radiointerview von Kenneth Anger und Susan Sontag (1967)
Filmvorführung von „Anger Me“ (Elio Gelmini, 2006)
Samstag, 09. Januar 2016, 15 Uhr
Mit besonderem Dank an Claudia Apel, Hilko Baum, Will Benedict, Cinédoc-Paris Film Coop, Deutsches Salzmuseum, Hans-Christian Dany, Electronic Arts Intermix, Tom Humphreys, Ken Jacobs, Felix Krebs und Scala Kino.
Die Ausstellung und das Vermittlungsprogramm werden großzügig gefördert durch das Land Niedersachsen, der Niedersächsische Sparkassenstiftung, die Sparkassenstiftung Lüneburg, den Lüneburgischen Landschaftsverband, die VGH-Stiftung, die Lüneburger Bürgerstiftung und die Hansestadt Lüneburg.